Was geschieht eigentlich in ethischen Fallberatungen?

Es gibt viele Modelle, die zu beschreiben versuchen, wie Ethikberatungen ablaufen sollen. Was aber geschieht tatsächlich bei diesen Gesprächen? Im Rahmen eines Forschungsprojekts haben R. Pedersen, V. Akre und R. Forde (Oslo, Norwegen) dies einmal untersucht. Wirklich provozierende Thesen stehen zwar nicht am Ende ihres Beitrags, aber sie können zeigen, was wir eigentlich alles nicht wissen – und das ist eine ganze Menge.

Die Autoren beschreiben in ihrem Beitrag, dass sie neun Ethikkomitees in Norwegen die schriftliche Zusammenfassung einer konflikthaften Patientengeschichte vorgelegt haben. Es hat sich dabei um den Fall eines 55 Jahre alten Patienten gehandelt, der sich im Endstadium einer Krebserkrankung befindet. Das medizinische Team ist zu der Entscheidung gekommen, dass eine Wiederbelebung von keinem Nutzen für den Patienten mehr wäre. Der Patient selbst besteht aber darauf, dass alles für ihn getan wird, einschließlich von Wiederbelebungsmaßnahmen. Die neun Ethikkomitees hatten dann 25 Minuten Zeit, diesen Fall zu diskutieren. Die Diskussion wurde aufgezeichnet und die Teilnehmer im Anschluss befragt.

Die Autoren konnten eine Reihe von Schlüsselelementen identifizieren. Zu diesen gehörten u.a. die Exploration von moralischen Werten, die Exploration der medizinischen Situation und der Situation des Patienten sowie die Erforschung der Sicht des Patienten und seiner Angehörigen. Ebenso werden die Untersuchung der klinischen Kommunikation („clinical communication“) und die Identifizierung der möglichen Handlungsoptionen genannt. Andere Elemente wie die Identifikation der wichtigsten ethischen Probleme wurden nicht von allen Ethikkomitees vorgenommen.

Interessant ist, dass 7 von den 9 Komitees behauptet haben, dass sie eine feste Vorgehensweise hätten, wie Fälle besprochen werden sollen. Zwei davon hielten sich aber nicht an diese Vorgehensweise. In nur einem Fall wurden auch einmal Hilfsmittel wie eine Tafel eingesetzt. Die Autoren sind der Ansicht, dass eine geklärte Vorgehensweise sowie die Nutzung von Hilfsmitteln die Beratungen umfassender, transparenter und systematischer gemacht haben.

Im Fazit ihres Beitrags stellen die Autoren fest, dass ihre Beobachtungen Hinweise darauf geben, dass  die Zusammensetzung eines Ethikkomitees sowie die Erfahrung und die Interpretationen der Beteiligten den Inhalt wie auch die Ergebnisse einer Beratungsprozesses in einem Ethikkomitee beeinflussen. Dieser letzte Punkt ist interessant und ich denke, dass – wenn dies zutrifft-  wir davon ausgehen müssen, dass auch unterschiedliche Ethikkomitees bei der Falldiskussion zu unterschiedlichen Ergebnissen kommen. Diese Einsicht ist vielleicht nicht ganz so überraschend, wenn man sich vergegenwärtigt, dass es kein absolut sicheres, unbezweifelbares und von allen geteiltes Fundament der Ethik gibt.

Die Studie ist ein interessanter Ansatz, einmal zu untersuchen, was in Ethikkomitees bei Fallberatungen tatsächlich geschieht. Bedauerlich ist, dass sie auf kritische Aspekte wie Unterschiede in der Berufsposition (Arzt, Pflegende) oder Unterschiede im Prestige nicht eingehen. Es ist nämlich zu vermuten, dass diese Faktoren ganz erheblichen Einfluss auf Beratungsprozesse haben. Natürlich sind die Verhältnisse von Norwegen nicht auf Deutschland zu übertragen. Hinweise zur Verbesserung des eigenen Angebotes kann der kritische Leser oder Leserin dennoch der Publikation entnehmen.

R Pedersen, V Akre, R Forde: What is happening during case deliberations in clinical ethics comittees? A pilot study. J. Med. Ethics 2009;35;147-152.

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